Das Watt – ein ganz besonderes Buch.

Ich war ganz happy, als vor einiger Zeit eine Buchsendung vom Rowohlt Verlag aus Hamburg bei mir eintraf. Ich habe das Buch „Das Watt“ von Karsten Reise als Rezensionsexemplar erhalten. Darüber bin ich sehr dankbar, denn nach der Lektüre kann ich schon mal sagen, dass es ein Buch ist, das einen festen Platz in meiner persönlichen „Hitliste“ sicher hat.

Wer das Weltnaturerbe Wattenmeer ebenso faszinierend findet, ach was sag ich, ebenso liebt wie ich, der wird auch dieses informative, aber immer leidenschaftliche Buch ebenso verschlingen, wie ich es getan habe. Wer noch keinen Zugang zum Wattboden hat, dem kann ich das Buch ebenso empfehlen, denn Karsten Reise versteht es nur zu gut, uns bei seiner Begeisterung für das Wattenmeer mitzunehmen und unseren Blick für diese einzigartige Naturlandschaft zu schärfen.

„Ich war schon acht, als ich zum ersten Mal in Nordseewellen schwamm. Das Meer ließ mich spüren, wie leicht es mich trug. Damit hatte es mich für immer gewonnen.“ Schöner kann man ein Buch, dass um die Faszination Wattenmeer geht, kaum beginnen. Als Reise mit zehn Jahren erstmals den Königshafen bei List auf Sylt umlief, Strandflöhe beobachtete und Muscheln sammelte, da wurde seine Liebe zur Naturlandschaft geweckt und so war es nicht verwunderlich, dass er später an unterschiedlichen Universitäten Biologie und Zoologie mit einigen Nebenfächern studierte. Dass ihn sein erster Nordseebesuch und auch der Besuch des Königshafens in List auf Sylt so sehr für das leben prägen würden, das hätte er vermutlich nicht träumen lassen.

Prof. Dr. Karsten Reise war später Leiter der Wattenmeerstation im Alfred-Wegener-Institut am Standort Sylt. Dass er dort einen Großteil seines Berufslebens verbringen würde, das hat er sich als 10-jähriger Steppke vermutlich nicht träumen lassen. Zudem lehrte er als Professor neben Zoologie auch Meereskunde, Küstenforschung und Küstenökologie an verschiedenen norddeutschen Universitäten. Reise war auch daran beteiligt, dass das Wattenmeer als Weltnaturerbe anerkannt wurde und hält nach seiner Emeritierung 2013 auch noch weiterhin Vorträge und Lesungen. Über 35 Jahre hat er die Einzigartigkeit des Watts erforscht und seine Ergebnisse in zahlreichen Büchern festgehalten.

In seinem Buch „Das Watt“ erzählt er spannend, manchmal auf sehr humorvolle Art über die Wunderwelt zwischen Land und Meer, die zwar bei Ebbe sichtbar ist, bei Flut aber verborgen.

„Das Watt ist ein Trick der Natur, der uns erlaubt, das Meer zu Fuß zu besuchen. Watt lebt vom tiefen Ein- und Ausatmen des Meeres.“ Für mich einer der schönsten Sätze, da er literarisch genau das wiedergibt, was das Watt ist. Kurz und bündig mit so viel Tiefgang.

Und hier noch ein kurzer Auszug aus dem Vorwort, das ich auch ganz hätte hier mit euch teilen können. Es ist ein Vorwort nach meinem Geschmack. Persönlich, informativ, leidenschaftlich und mit so viel Lust machend auf die folgenden gut 300 Seiten. Ich hätte es fast wie einen Roman weg lesen können, so sehr hat mich sowohl der lockere Schreibstil gepackt und ich hatte kaum das Gefühl ein Sachbuch zu lesen.

„Das Watt gehört ganz klar zum Meer, auch wenn es uns bei Ebbe vorgaukelt, ein Land zu sein. Selten braust im Watt das Meer mit voller Wucht auf. Schmiegt sich meist sanft ans Land, zeigt nur kurz mit dem Watt seinen weichen Grund her. Wissenschaftlich betrachtet: Watt ist allseits auf Empfang, produziert selbst viel und bewirtet schwimmende und fliegende Gäste mit reich – aber niemals gleich – gedecktem Tisch. Im Watt leben nicht nur ausgebuffte Opportunisten und solche, die hart im Nehmen sind. Verborgen im Wattboden entfaltet sich eine Parallelwelt mikroskopisch kleinster Meereswesen. Die sind von unglaublicher Vielfalt und erst lückenhaft erforscht. Unter den gefiederten Fliegern sind Herumtreiber ebenso wie Hochleistungssportler mit engstem Zeitplan auf der Durchreise. Alles in allem lebt im Watt eine vielschichtige Gesellschaft, die einen mit- und die anderen gegeneinander.“

In kurzen inhaltsvollen Kapiteln erfährt der Leser wie wichtig es für Wattbodentiere ist, sich wohnlich einzurichten und das ganze „Wohnsiedlungen“ den grauen Meeresboden durchziehen. Oder das mit der jetzigen Klimaerwärmung Eiswinter immer seltener stattfinden. Die waren früher etwas ganz Besonderes, wenn sich Packeistürme zwischen Inseln und Festland auftürmten. Ich habe aber auch erfahren, was der Schiffsverkehr mit dem Wattenmeer macht und wie es sich verändert, dass an den Schiffen haftende Muscheln und Austern sich immer mehr vor unserer Küste ausbreiten.

Auch das Thema Vögel und Vogelzug hat Karsten Reise einige Seiten gewidmet, die ich regelrecht verschlungen habe. Denn ich lebe ja inmitten des Weltnaturerbes auf ehemaligem Meeresboden und kann vom Wohnzimmer aus unzählige Vögel beobachten.

Watt ist immer in Bewegung und genau das ist ja auch die Faszination daran. Das sich hinter dem schlickigen grauen Boden so viel mehr verbirgt, das wird jedem auf einer Wattwanderung bewusst. Wie wertvoll und einzigartig das Ökosystem ist, das erzählt Reise in seinem Buch eindrücklich. Es ist das größte zusammenhängende Watt der Welt, obwohl es Watten überall gibt. 2009 wurde das niederländische und deutsche Wattenmeer zum Weltnaturerbe ernannt. Es ist der Ritterschlag für ein Ökosystem und sozusagen der Oskar für ein Naturraum. 2011 stieß noch das Hamburger Wattenmeer und 2014 der dänische Teil dazu, so dass wir 2024 schon das gesamte 10-jährige Weltnaturerbe feiern können. Auch wenn es für manche gar nicht so wirkt, es steht aber damit auf einer Stufe mit dem Grand Canyon oder dem Great Barrier Reef.

Gepickt ist das Buch mit vielen Zeichnungen, die Karsten Reise selbst angefertigt hat und die manches Verstehen der Zusammenhänge ganz einfach machen. Zusätzlich gibt es wundervolle Luftaufnahmen vom bekannten Wattenmeer-Fotografen Martin Stock.

Wer noch mehr zum Wattenmeer sucht, der findet im 25-Seiten dicken Quellen- und Literaturverzeichnis sicherlich weiterführende Bücher.

Ich kann das Buch wirklich allen Nordseeurlaubern und den denen, die es werden möchten, unbedingt empfehlen. Und allen am Wattenmeer lebenden Menschen auch unbedingt!

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